Was wäre, wenn Franziska Preuß...?

Event-Datum: 
Donnerstag, 29 Oktober, 2020
In den vergangenen zwei Jahren gelang Franziska Preuß ein prächtiger Abschluss der BMW IBU-Weltcup-Saison, wobei sie je drei gute Leistungen in Folge verbuchen konnte: In der Saison 2018/19 wurde sie in den letzten drei Rennen Zweite, Siebte und Achte, während sie am Ende der Saison 2019/2020 den dritten, zweiten und neunten Platz holte. Sie war stark auf den Skiern, präzise beim Schießen und bewies damit der Welt und vor allem sich selbst, dass sie regelmäßig zu großen Leistungen fähig ist, wenn sie das nur die gesamte Saison über halten kann.

 
Bild: RaHo, SSFC

Wo lässt sie sich aber in einem höchst unberechenbaren Damenfeld verorten, in dem die Leistung auf den Skiern fast so wichtig ist wie das Schießen (wenn nicht wichtiger), und in dem mindestens fünf bis zehn Athletinnen das Potenzial auf Biathlon-Medaillen auf höchster Ebene haben, und ebenfalls mit dem Gesamtsieg und Einzug in die historische Biathlon-Elite liebäugeln?
 
Sieben Podestplätze in ihrer bisherigen Karriere – einer davon der Sieg beim Massenstart in Ruhdpoling 18/19
 
Preuß stand bis dato sieben Mal auf dem Podest, davon vier Mal beim Massenstart, der ihr ihren ersten und einzigen Sieg auf BMW IBU-Weltcup-Niveau bescherte. Dazu kam es 2018/19 vor einem vollbesetzten Stadion in ihrer Heimat Ruhdpoling, in der sie den Großteil der Saison über wohnt und trainiert. Von der unbändigen Norwegerin Ingrid Tandrevoldwurde verfolgt und zeitweise überholt, konnte sich Preuß letztendlich durchsetzen.
 
„Die letzte Runde war großartig", kommentierte Preuss. „Ich war die Erste, die den Schießstand verließ; ich wusste nicht, wer hinter mir liegt und wie viele hinter mir her sind. Ich schaute auf die Videowand, da ich nicht verstanden habe, was die Trainer mir zurufen. Die meiste Zeit über lag ich in Führung und habe dann vor der anderen Seite des Schießstandbergs das Tempo verlangsamt. Es war unnötig, bis zum Ziel durchzupowern, da ja nur Ingrid oder ich das Rennen gewinnen konnten. Die anderen lagen zu weit hinten. Auf einmal zog sie an mir vorbei, und da dachte ich: Gut, der zweite Platz im BMW IBU-Weltcup daheim ist auch eine tolle Leistung. Im nächsten Moment wurde mir allmählich klar, dass Ingrid mir mit ihrem Überholmanöver beim letzten Anstieg in die Hände spielte. Als ich sie bei der Abfahrt im Windschatten überholte, spürte ich, dass ich Chancen auf den Sieg hatte, wenn ich es als Erste ins Stadion schaffe. Bei der letzten Abfahrt wurde mir bewusst, dass es wirklich für den Sieg reichen konnte und auf der Zielgeraden habe ich alles gegeben. Ich bin sehr stolz auf mich und darauf, dass ich es geschafft habe".
 
Kann eine Verändung des Sommerprogramms die Lücke schließen?
„Am Anfang einer Saison weiß man nie genau, wie fit man im Vergleich zu den anderen ist. Man will sich auch nicht zu sehr vorausgaben, da einem dann vorzeitig die Kraft ausgehen kann. Ich brauche immer ein paar Rennen, bis ich von meiner Leistung überzeugt bin", sagte Preuß im Profil-Interview für das IBU-Magazin 56, das zu Beginn der kommenden Saison erscheint. „Ich passe mich immer an meine persönliche körperliche Situation an und versuche, einen optimalen Trainingsplan zusammenzustellen.“
 
Ganz und gar nicht einfach war es, damit umzugehen, dass sie relativ häufig nicht im Biathlon-Flow war. Manchmal wollte der Kopf mehr, als der Körper leisten konnte. Aber Preuß will diese Erfahrungen nicht missen, denn sie weiß jetzt besser als jeder andere, wie ihr Körper funktioniert. Im vergangenen Sommer entschied sie sich außerdem für eine Veränderung: In Absprache mit dem Cheftrainer der Damen, Kristian Mehringer, schloss sie sich der Trainingsgruppe von Tobias Reiter, Andi Birnbacher und Niklas Kellerer an. Preuß trainiert zwar nach wie vor auf ihrem Heimrasen in Ruhpolding, holt sich aber auch neue Impulse. Die 26-jährige Biathletin verfolgt ehrgeizige Ziele. „Zunächst einmal will ich in der ganzen Saison gesund bleiben, konstante Leistung bringen und an bisherige Erfolge anknüpfen. Und ich hoffe, dass die IBU-Weltmeisterschaft in Pokljuka gut wird.“
Preuß beendete die Saison 2019/2020 als Sechste in der Gesamtwertung, was das beste Ergebnis ihrer Karriere darstellt. Ihre Trefferquote war mit 87 % höher als die von Siegerin Dorothea Wierer (82 %), Tiril Eckhoff auf Rang Zwei (81 %), der Dritten Denise Herrmann (77 %), der Vierten Hanna Oeberg (82 %) und der Fünften Marte Olsbu Roeiseland (84 %). Ihr Tempo auf den Skiern lag bei -2 und war damit niedriger als die von Wierer (-4), Eckhoff (-5), Herrmann (-6), Oeberg (-3) und Olsbu Roeiseland (-5). Wenn man bedenkt, dass ein durchschnittliches Rennen der Damen 10 000 Meter lang ist, bedeutet dies (einfach geschätzt) einen Startrückstand von 400 Metern oder 59 Sekunden im Vergleich zu Herrmann, 300 Meter oder 44 Sekunden im Vergleich zu Eckhoff und Olsbu Roeiseland, 200 Meter oder 29,5 Sekunden im Vergleich zu Wierer und 100 Meter oder 14,75 Meter im Vergleich zu Oeberg.
 
Sehr aufschlussreich ist auch die Tatsache, dass Wierer den Gesamtsieg 2018/2019 mit einer Trefferquote von 85% und -3 auf den Skiern holte. Wenn Preuß in der Saison 2020/2021 ohne Rückschläge auskommt, ihr Tempo auf mindestens -3 erhöht und ihre Trefferquote bei 87% hält, könnte sie es fast bis ganz nach oben schaffen.  Quelle: Biathlonworld.com
geschrieben: 6. November 2020 - 10:46 ; letzte Änderung: 6. November 2020 - 10:52